Dezember 2020
Fotos: Ralf A. Niggemann
OCULUS

Family Business

OCULUS ist ein Familienunternehmen in der dritten und vierten Generation. Wir haben Rainer, Rita, Christian und Matthias Kirchhübel gefragt, was den Charakter ihres Familienunternehmens ausmacht und bis heute auszeichnet.

Der erste Eindruck ist bekanntlich der wichtigste. Und den bekommt man ganz unvermittelt bei einem gemeinsamen Mittagessen mit der Familie Kirchhübel in der Firmenzentrale von OCULUS. Den Espresso gibt es im Obergeschoss, bevor der offizielle Teil des Gesprächs beginnt.

W3+: Das Wort Familienunternehmen wird ja bezeichnenderweise zusammengeschrieben. Lässt sich bei OCULUS Familie und Unternehmen überhaupt trennen?

Rita Kirchhübel: Kaum. Egal, ob wir nach einem Arbeitstag den Feierabend genießen wollen oder sonntags am Mittagstisch zusammensitzen – die Firma ist immer da. Das ist schön, wenn man sich über erfreuliche Dinge austauscht, aber in schwierigen Phasen ist es auch belastend. Manchmal spreche ich ein Machtwort, wenn ich das Gefühl habe, dass es nicht immer um die Firma gehen muss. Das wird zwar respektiert, aber es hält in der Regel nicht lange an. (lacht)

Christian Kirchhübel: Man muss sich schon disziplinieren, dass man nicht alles, was einen geschäftlich umtreibt, in die Familie trägt. Aber ich kenne es auch gar nicht anders. Das ist, wie meine Mutter sagt, bisweilen belastend. Was aber aus meiner Sicht viel mehr Gewicht hat, ist der enge Austausch, den wir in dieser familiären Konstellation pflegen.

W3+: Sie, Herr Kirchhübel, sind seit 1979 im Unternehmen, seit 1981 in der Geschäftsführung. Ihr Vater Kurt Kirchhübel leitete das Unternehmen ab 1947 fast vierzig Jahre lang. Was hat er Ihnen auf den Weg gegeben?

Rainer Kirchhübel: In unserer Familie war das Unternehmen natürlich auch damals stets präsent. Ich war der Jüngste von sechs Geschwistern. Wenn mein Vater von Entwicklungen in der Augenoptik und -diagnostik erzählte, habe ich immer große Augen bekommen, obwohl ich als Kind noch nicht viel davon verstand. Ich kann mich erinnern, dass Professor Curt Cüppers vom Universitätsklinikum Gießen, eine Koryphäe in der Schielheilkunde, bei uns ein- und ausging. Er hatte eine sonore Stimme und diskutierte mit meinem Vater über die Geräteentwicklung. Nicht selten bekamen wir Kinder die Augen „getropft“, um die Prototypen, die mein Vater entwickelt hatte, zu testen.

»Wir führen bisweilen intensive Diskussionen
in der Familie, aber die Entscheidung wird
immer im Sinne des Unternehmens getroffen.«

Christian Kirchhübel

W3+: OCULUS hat über Jahrzehnte eng mit Partnern aus der Forschung und Wissenschaft kooperiert.

Rainer Kirchhübel: Das ist richtig. In enger Zusammenarbeit mit Professor Heinrich Harms und Professorin Elfriede Aulhorn vom Universitätsklinikum Tübingen entstand ein Gerät für die Gesichtsfeldkontrolle, das sogenannte Tübinger Hand-Perimeter. Ebenfalls mit der Uni Tübingen haben wir Anfang der 1960er-Jahre ein Gerät zur Prüfung der Dämmerungssehschärfe und Blendempfindlichkeit entwickelt. Ich war damit zusammen mit meinem Vater sogar in der Fernsehsendung „Gesundheitsmagazin Praxis“ zu Gast. Das hat mich als Teenager natürlich fasziniert. Und man muss rückblickend sagen: Wir waren auch wirklich am Zahn der Zeit, zumal damals gerade der verpflichtende Sehtest für den Erwerb des Führerscheins eingeführt wurde.

W3+: Jede neue Generation hat neue Ideen. Gab es in Ihrer Zeit als Geschäftsführer eine Art technologische Initialzündung, die sich als Türöffner erweisen sollte?

Rainer Kirchhübel: Ich war Ende 20, als ich Anfang der 1980er-Jahre in die Geschäftsführung kam, und der Erwartungsdruck war mindestens so groß wie die Skepsis. Eine erste Initialzündung begann sozusagen im Kleinen, weil es sich dabei ursächlich um eine Geräteentwicklung für die doch sehr überschaubare Glaskörperchirurgie handelte. Im Kern ging es um eine Revolution in der indirekten Ophthalmologie, wo die Betrachtung des Auges über eine Lupe und einen Beleuchtungskörper geschieht. Im Ergebnis erhalten Sie dabei ein Bild, das seitenverkehrt ist und auf dem Kopf steht. Für einen Operateur ist die Arbeit unter solch erschwerten Bedingungen eine überaus herausfordernde Denksportaufgabe. Uns ist es gelungen, für diese Form der indirekten Ophthalmologie 1988 ein Gerät auf den Markt zu bringen, das das Bild umkehrt. Davon waren letztlich nicht nur die wenigen Glaskörperchirurgen begeistert, sondern weit mehr Kunden aus vielen Bereichen.

Ein zweiter Meilenstein war rund 15 Jahre später die Pentacam. Seinerzeit war es Stand der Technik, dass man mit sogenannten Scheimpflugkameras ins Auge reinschauen konnte und eine Standardaufnahme als zweidimensionales Bild bekam. Unser Entwickler Gert Köst hatte nun die Idee einer rotierende Scheimpflugkamera, deren Aufnahmen sich zu einem dreidimensionalen Bild zusammensetzen lassen. Das funktionierte tatsächlich und war revolutionär. Daraus entstand die 3D-Scheimpflugkamera Pentacam, die uns inzwischen über mehrere Generationen zum Weltmarktführer bei der exakten Vermessung des vorderen Augenabschnitts macht.

W3+: Wie schafft man es, in der Produktentwicklung immer mit der Zeit zu gehen oder ihr sogar voraus zu sein?

Rita Kirchhübel: Ich glaube die genannten Beispiele verdeutlichen exemplarisch, worauf es in unserem Geschäft besonders ankommt: auf die technologische Weiterentwicklung einerseits und auf die Weiterentwicklungen in der Anwendung andererseits. Wir haben ein breites Spektrum an Geräten und Instrumenten, das von der Messbrille bis zur Pentacam reicht. Und wir haben einen ebenso breiten wie hochspezialisierten Kundenkreis, zu dem Augenoptiker und Augenärzte, aber auch Arbeitsmediziner gehören. Bei uns dreht sich zwar alles um die Augen, aber wir haben auch unsere Ohren immer ganz nah bei den Kunden. Das ist ganz entscheidend, weil wir unsere Geräte ja entwickeln, um ihnen die Arbeit zu erleichtern.

»Wir fertigen hochwertige Produkte in vergleichsweise kleinen Stückzahlen. Und dafür haben wir hier in den vergangenen drei
Jahren eine komplett neue Optikfertigung nach den Maßgaben
modernster Technik und Automation auf die Beine gestellt.«

Matthias Kirchhübel

W3+: War für Sie, also die nächste Generation, eigentlich schon immer klar, dass Sie ins elterliche Unternehmen einsteigen würden?

Christian Kirchhübel: Wir hatten ja schon darüber gesprochen, dass Familie und Unternehmen bei uns nahtlos ineinander übergehen. Das war gefühlt auch in der Kindheit so. Mein Bruder und ich waren in der Firma schon immer „zu Hause“. Wir haben in den Ferien als Teenager so ziemlich alle dankbaren und undankbaren Jobs gemacht, in den Werkstätten, in der Logistik und im Versand. Ganz offiziell bin ich dann nach meinem BWL-Studium in die Geschäftsführung eingetreten.

Matthias Kirchhübel: Wenn man einen kleinen Jungen in meiner Generation gefragt hat, was er mal werden will, dann kam meist die Antwort: Feuerwehrmann. Für mich stand fest, dass ich Ingenieur werden will. Immerhin konnte ich bereits als Kind eine Kaffeemaschine auseinanderbauen – und dann war sie auch wirklich kaputt! (lacht) Aber ich wusste: Mein Vater ist Ingenieur. Und er war schon ein Stück weit ein Vorbild für mich. Also habe ich Maschinenbau studiert und kam als Diplomingenieur zurück ins Unternehmen.

W3+: Bei aller Wertschätzung für die Eltern – so ein Generationenwechsel erzeugt doch auch Reibung, oder?

Matthias Kirchhübel: Na klar. Aber wie wir ja wissen, erzeugt Reibung Wärme. Das ist ja prinzipiell etwas Schönes, solange die Parteien nicht überhitzen. Und das haben wir in unserer Familie bislang sehr gut hinbekommen. Wir sind alle sehr technikbegeistert und können uns darauf verlassen, dass wir wissen, wovon wir sprechen. Und: Wir respektieren die Meinung und den Kenntnisstand des jeweils anderen in höchstem Maße. Natürlich habe ich mich im Laufe meines Studiums mit mechanischen, anwendungstechnischen und digitalen Fertigungsprozessen auseinandergesetzt, die weit von dem entfernt sind, was mein Vater seinerzeit als Ingenieur gelernt und danach als Unternehmer beherzt in die Tat umgesetzt hat. Aber er begreift das nicht als Konkurrenz im eigenen Haus, sondern ganz klar als Gewinn.

Christian Kirchhübel: Das kann ich nur bestätigen. Natürlich folgt die Entscheidung, welche neuen Maschinen für eine optimierte Fertigung angeschafft werden, technischen und betriebswirtschaftlichen Erwägungen. Da führen wir bisweilen intensive Diskussionen in der Familie, aber die Entscheidung wird immer im Sinne des Unternehmens getroffen.

»Bei uns dreht sich zwar alles um die
Augen, aber wir haben auch unsere Ohren
immer ganz nah bei den Kunden.«

Rita Kirchhübel

W3+: „Made in Germany“ ist ein weltweit geschätztes Siegel, aber auch ein kostenintensives Vergnügen. Sie leisten sich nach wie vor eine hauseigene Entwicklung und extrem hohe Fertigungstiefe mitten in Deutschland. Wie geht das?

Matthias Kirchhübel: Schauen Sie, wir fertigen hochwertige Produkte in vergleichsweise kleinen Stückzahlen. Und dafür haben wir hier in den vergangenen drei Jahren eine komplett neue Optikfertigung nach den Maßgaben modernster Technik und Automation auf die Beine gestellt. Was wir nicht im Haus produzieren können, beziehen wir von ausgesuchten Lieferanten zum Großteil hier aus der Region. Warum wir das tun? Weil wir auf höchste Qualität und Präzision großen Wert legen. Und weil unsere Kunden das sehr zu schätzen wissen.

Rainer Kirchhübel: Hinzu kommt, dass wir durch die hohe Fertigungstiefe viel unabhängiger sind – das hat sich gerade in den Monaten der Corona-Krise sehr positiv ausgewirkt.

W3+: Ist das zumindest ein kleiner Trost in diesem Jahr, das doch ein großes Jubiläumsjahr werden sollte?

Rita Kirchhübel: Eigentlich wollten wir das ganze Jahr über feiern. Als Höhepunkt hatten wir ein großes Fest mit unseren internationalen Mitarbeitern, Händlern und Kunden geplant. Aber daraus wurde ja aus bekannten Gründen nichts. Um ehrlich zu sein, wir haben noch nicht einmal in der Familie gebührend auf unser Jubiläum angestoßen. Denn in den vergangenen Monaten waren wir rund um die Uhr damit beschäftigt zu schauen, wie es weitergeht. Und daran wird sich mutmaßlich auch so schnell nichts ändern. Ganz sicher werden wir aber zum Jahreswechsel gemeinsam auf das nächste Jahr anstoßen!


Weitere Informationen:
www.oculus.de